Menschenbilder Oskar Negt in memoriam

So, 28.04.  |  14:05-14:55  |  Ö1
„Keine Demokratie ohne Demokraten.“ Der Sozialphilosoph Oskar Negt

Mit Oskar Negt starb am 2. Februar 2024 ein führender Intellektueller Deutschlands. Nachrufe würdigten einen kämpferischen Demokraten und einen Hochschullehrer, der Tausende Studierende mit der Prägnanz seines Denkens beeindruckt, wenn nicht geprägt hat. Von Oskar Negts unermüdlichem Schaffen zeugt die zwanzigbändige Werkausgabe im Steidl Verlag; bekannt wurden unter anderem seine Veröffentlichungen mit Alexander Kluge: „Geschichte und Eigensinn“, „Maßverhältnisse des Politischen“ oder „Öffentlichkeit und Erfahrung“.Geboren 1934 in Königsberg, war Oskar Negt nach der Flucht 1945 als 11-Jähriger zweieinhalb Jahre in einem dänischen Flüchtlingslager getrennt von den Eltern untergebracht. Danach kam er nach Oldenburg und studierte nach dem Schulabschluss in Frankfurt bei Horkheimer und Adorno. Bereits in den 1950er Jahren trat er dem SDS, dem sozialistischen deutschen Studentenbund, bei und stand immer der Gewerkschaftsbewegung nahe. Sein Weg vom Kind aus einer Arbeiter- und Bauernfamilie in Ostpreußen führte ihn zum „Olymp“ der Frankfurter Schule, hier erlebte er die Studentenbewegung nicht nur hautnah mit, sondern war einer der Wortführer der APO, der Außerparlamentarischen Opposition. Nach seiner Dissertation über den Gegensatz von Positivismus und Dialektik bei Hegel und Comte wurde Negt acht Jahre lang Assistent bei Jürgen Habermas. 1970 wurde er Professor für Soziologie an der Leibniz-Universität in Hannover und blieb es drei Jahrzehnte lang bis zu seiner Emeritierung 2002. Die Entwicklung eines politischen Urteilsvermögens hält Negt für die Voraussetzung jeder humanen Gesellschaft, und auch deshalb ist Bildung Negt ein lebenslanges Hauptanliegen. So verfasste er eine „Theorie der Arbeiterbildung“ und war einer der Gründer der Glockseeschule in Hannover, die auf dem Prinzip der Selbstregulierung basiert – bis heute hat sie doppelt so viele Anmeldungen als freie Plätze und seit 1972 kennt sie keinen 45-Minuten-Takt, keine Schulglocke und kein Sitzenbleiben.Über die Bedeutung des Jahres 1968 hatte Oskar Negt schon intensive Auseinandersetzungen mit Jürgen Habermas. Dass der linke Sozialdemokrat Negt den Grünen Joschka Fischer verteidigt und Positionen von 68er-Kritikern wie Götz Aly für „abenteuerlich“ hält, verwundert nicht weiter – das Bedürfnis, „Anschluss an geordnete Mehrheiten zu finden“, hatte er offenbar nie.Zum Ableben von Oskar Negt wiederholen die „Menschenbilder“ ein Porträt vom Juni 2014.

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