Die Reihe: Menschen & Mächte. Jahrzehnte in Rotweißrot

Die „Menschen & Mächte“-Serie „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“. Rückblick auf die Reihe.

Rückblick auf die bereits ausgestrahlten Folgen

Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot – Die 60er Jahre

„Wir haben gespürt, dass die Zeit sich verändert, dass wir nicht immer auf dem Gestrigen stehenbleiben können!“ Udo Jürgens erinnert sich an ein Jahrzehnt des Übergangs, des Umbruchs, der Revolte, in dem vieles erstmals denkbar, erstmals möglich, erstmals erkämpft wird. Jung steht gegen alt, modern gegen spießig, liberal gegen autoritär. Es ist vor allem ein Konflikt der Generationen und er zieht sich durch Familie und Gesellschaft. Die ersten nach dem Krieg geborenen Kinder kommen in die Pubertät, die erste Generation, die frei ist von den psychischen und physischen Folgen von Krieg, Diktatur und Wirtschaftskrise – und viele distanzieren sich von den moralischen und politischen Vorstellungen ihrer Eltern und Großeltern.

1961 konfrontiert Helmut Qualtinger das Fernsehpublikum im „Herrn Karl“ mit dem Geschichtsbild eines typischen Österreichers. Wütende Proteste sind die Folge, aber die Realität übertrifft in den nächsten Jahren die Fiktion: An der „Habsburg-Affäre“ droht die ÖVP-SPÖ-Regierung zu zerbrechen; in Südtirol kommt es zu einer Serie von Terroranschlägen; in der „Fußach-Affäre“ brechen die Spannungen zwischen „Wasserkopf“ Wien und Bundesländern auf. Bei Demonstrationen gegen den offen antisemitischen Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz wird ein KZ-Überlebender von einem Neonazi erschlagen – der erste politische Tote der Zweiten Republik. Der spätere Finanzminister Ferdinand Lacina: „Ich war unmittelbar dabei, als Kirchweger niedergeschlagen wurde. Es war ein fürchterliches Erlebnis!“

Mit Wiederaufbau und Staatsvertrag hat die große Koalition zwei elementare politische Ziele erreicht. In den 60er Jahren aber steht das schwarz-rote Bündnis eher für Stillstand und Proporz als für Reformwillen; nach wie vor bestehen gravierende Defizite in der demokratischen Kultur. Altbundespräsident Heinz Fischer, in den 60er Jahren junger Verfassungsrechtler: „Die Demokratie muss jeden Tag neu erarbeitet werden. Daher hat man in den 60er Jahren begonnen, an Schwächen unseres Parlamentarismus zu arbeiten.“ 1966 bildet die ÖVP unter Josef Klaus die erste Alleinregierung der Zweiten Republik. Heinrich Neisser, Mitarbeiter von Josef Klaus, und ÖVP-Doyen Ludwig Steiner, damals erklärter Gegner von Josef Klaus, erinnern sich an diese Jahre.

Die Sozialpartnerschaft sorgt für sozialen Frieden ohne Streiks; langsam bildet sich eine moderne, amerikanisch geprägte Konsumgesellschaft heraus: mit Automobil, Fernseher, Waschmaschine für alle. Mit den Olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck und den sportlichen Erfolgen wächst auch ein österreichisches Nationalbewusstsein. Familie und Schule aber sind immer noch geprägt von den autoritären Strukturen der Vergangenheit. Chris Lohner, damals am Anfang ihrer Model-Karriere: „Ich habe mit 20 noch mal eine abgefangen von meinem Vater, weil ich um zwei Uhr Früh heimgekommen bin!“ Aber die Stars einer internationalen Jugendkultur leben auch den Jugendlichen zwischen Bodensee und Neusiedler See die Rebellion gegen das Establishment vor. Beatrix Neundlinger, später Sängerin der Schmetterlinge, erinnert sich an die Stimmung der 68er-Jugendlichen: „Warum bin ich so konservativ erzogen? Wo zieht es mich eigentlich hin? Es war auch der Beginn, sozialkritisch zu denken!“

Ende der 60er Jahre kommen die ersten Absolventen der Nachkriegsgeneration von den Universitäten, 1968, im Jahr internationaler Proteste, bleibt es in Österreich zwar relativ ruhig – Heinrich Neisser: „Ich habe das Jahr 1968 auf die österreichische Art und Weise erlebt, nicht als Sturm, sondern als Lüftchen!“ Aber die 68er-Bewegung vertieft die Kluft zwischen den Generationen. Wie kann es sein, dass die Kinder sich so sehr von den Idealen der Eltern distanzieren? Weihbischof Helmut Krätzl: „Rückblickend hätte es eine Auseinandersetzung mit den 68ern geben müssen, mit der zum Teil berechtigten Kritik daran, dass Leben nicht nur Leistung und Krampf ist, sondern dass das Leben auch zu genießen ist.“

Es ist ein Jahrzehnt zwischen Vergangenheit, Rebellion und Aufbruch. Am Ende der 60er Jahre herrscht unter den Jugendlichen eine Aufbruchsstimmung, die im nächsten Jahrzehnt von einem Politiker aus ihrer Großvätergeneration umgesetzt werden wird. Die 1960er Jahre legten die Basis für die Kreisky-Reformen der 1970er Jahre. Chris Lohner: „Es wurde der Grundstein für viele Dinge gelegt, die heute selbstverständlich sind. Vieles, was auch die Jugend erreicht hat, für die Jugend heute!“

Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot – Die 50er Jahre

„Wir hatten doch damals so viel nachzuholen, wir Jungen waren lebenshungrig und neugierig“, erzählt die in Wien geborene, später weltberühmt gewordene Schauspielerin Senta Berger als Zeitzeugin im ORF-Interview über die 50er Jahre. Damit trifft sie das Lebensgefühl der jungen Generation. Ab 1950 ist das Gröbste zwar überstanden; die Hungerjahre und die wirtschaftliche Not der unmittelbaren Nachkriegszeit sind vorbei, die ärgsten Schäden beseitigt. Österreichs Aufbruch in die Zukunft ist zwar alles andere als leicht, doch es ist jedenfalls ein Aufbruch in ein besseres Jahrzehnt. Fünf Jahre sind die Besatzer bereits im Land. Viele meinen sie bleiben für immer hier. Die Jahre der Diktatur und des Krieges haben tiefe Gräben in der Gesellschaft hinterlassen. Das Nationalgefühl und der Patriotismus in Rot-Weiß-Rot sind noch nicht gefestigt. Doch immerhin bekommt man Brot nun wieder ohne Lebensmittelkarten. Ein Zeichen der Besserung: „Man hatte das Gefühl, das Leben geht wieder bergauf“, fasst Arik Brauer, damals Student an der Akademie der bildenden Künste, die Stimmung zusammen.

Fünf Jahre später gibt es wirklich Grund zur Freude. Die Besatzungsmächte ziehen ab. Mit dem Staatsvertrag wird Österreich 1955 ein freies und souveränes Land. Für den Fotografen Erich Lessing, der das berühmte Foto mit Leopold Figl am Balkon des Belvederes gemacht hat, ein unvergessener Augenblick. Innen- wie außenpolitisch sind die 1950er Jahre das wohl wichtigste Jahrzehnt in Österreichs Nachkriegsgeschichte. Das Land positioniert sich zwischen den beiden Machtblöcken als militärisch neutraler, nicht jedoch ideologisch neutraler Staat. Gesellschaftspolitisch gilt der Wertekatalog westlicher Demokratien. Die folgenden Wirtschaftswunderjahre sollten Wohlstand und Jobs bringen, bald besitzt bereits jeder sechste Österreicher ein Auto. „Wir hatten das Gefühl, wir Österreicher sind wieder wer“, erinnert sich die ehemalige Nationalbankpräsidentin Maria Schaumayer an das neue Wir-Gefühl in Rot-Weiß-Rot, das am Ende des Jahrzehnts einsetzte.

Für die Die ORF-Dokumentation „Aufbruch in ein besseres Jahrzehnt“ erinnern sich prominente Zeitzeugen, die später in Politik, Wirtschaft, Kunst und Sport Bedeutendes für Österreich geleistet haben. Sie denken zurück an die Zeit ihrer Kindheit und Jugend und machen so die 50er Jahre für das TV-Publikum wieder lebendig. Sie zeichnen aber nicht nur das Bild einer mit Rock ’n’ Roll aufwachsenden Generation nach, sondern zeigen auch die Risse im Fundament der Zweiten Republik auf. „Die 50er Jahre waren eine Zeit des Verdrängens“, erinnert sich Senta Berger und weist auf die heile Welt der Sissi- und Försterfilme hin: „Die Gegenwart kam im österreichischen Nachkriegsfilm einfach nicht vor“. Die NS-Zeit vergessen, Täter verharmlosen, Verfolgte nicht rehabilitieren – das war die Strategie einer Gesellschaft, die die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit scheute und deshalb auch noch Jahrzehnte später immer wieder über sie stolperte.

Der Film beleuchtet und analysiert den doch auch mit steigendem Optimismus beschrittenen Weg, den Österreich nach dem Scheitern der Ersten Republik und den Irrungen des Nationalsozialismus gehen musste, um seine nationale Identität neu zu definieren. Eine auf Befehlen, Gehorchen und Marschieren getrimmte Generation musste die ideologische und mentale Umpolung ihrer Köpfe vollziehen und Selbstverantwortung lernen. „Wir hatten alle eine gute Infanterieausbildung, aber von Demokratie hatten wir keine Ahnung“, bekennt Ludwig Steiner, der als Sekretär von Bundeskanzler Julius Raab die Staatsvertragsverhandlungen noch persönlich miterlebte. Trotz aller Defizite und Widersprüche waren die 50er Jahre ein Jahrzehnt, das für die österreichische Nachkriegsgeschichte die größte Bedeutung hatte. „Aus einem gespaltenen Österreich der Ersten Republik und trotz aller Zerstörungen und Opfer und zehnjähriger Besetzung ist es eines der wohlhabendsten Länder der Welt geworden. Wer hätte das erwartet und zu hoffen gewagt?“, resümiert Hannes Androsch, der ehemalige Finanzminister und Vizekanzler der SPÖ-Alleinregierung, damals Student der Handelswissenschaften. Und: „Ich hatte das Glück einer Generation anzugehören, die das alles erleben durfte“. Die Dokumentation von Wolfgang Stickler und Andreas Novak versteht sich als dynamische, aber auch heitere Reise durch die vielen Facetten der 1950er Jahre.

‚Die 50er Jahre‘, ‚Die 60er Jahre‘ und ‚Die 70er Jahre‘“ – 3teilige Zeitgeschichte-Serie, die die Alltags-, Politik- und Gesellschaftsgeschichte zwischen 1950 und 1980 behandelt – vom Aufbruch aus den Trümmern zum modernen Wohlfahrtsstaat und den Kreisky-Jahren thematisiert.

Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot – Die 70er Jahre

Die 70er – ein Jahrzehnt prägend und unvergesslich für mehrere Generationen. Jahre des Aufbruchs, des Fortschritts, der Vollbeschäftigung, eine Zeit unglaublicher sportlicher Erfolge. „Eine Insel der Glückseligen“, meint der Papst in Rom. Goldene Jahre – mit vielen Schattenseiten.

Am Anfang des Jahrzehnts geschieht etwas, das bis dahin für viele unvorstellbar war. Ein Sozialist wird Bundeskanzler. Ein Intellektueller, ein Emigrant, ein Jude, ein überzeugter Österreicher. Ein Mann mit politischen Visionen, dessen Name das ganze Jahrzehnt prägen wird. Einer, der mit den Medien spielt, sie für sich nutzt, wie das zuvor noch keiner tat. Einer, der das kleine Österreich zurück auf die Weltbühne holen will, dem Schulden lieber sind als Arbeitslose. Dreimal gewinnt er die absolute Mehrheit, bildet Alleinregierungen, lässt Oppositionsführer verzweifeln. Sein Name ist untrennbar mit den Wohlstandsjahren verbunden. „Bruno Kreisky, wer sonst“, so lautet der Slogan der Sozialisten, die „Freundschaft“ rufen, wenn sie die Genossen begrüßen. Probleme tauchen auf, die uns bis heute beschäftigen – und dennoch kaum im Gedächtnis geblieben sind. Zu sehr wird diese Zeit mit Kreiskys Namen, seinem Reformwillen und seinem staatsmännischen Auftreten in Verbindung gebracht.

Die Dokumentation spannt den Bogen vom Personenkult um den „Sonnenkönig“ Bruno Kreisky über die Konsumgesellschaft, den gestärkten Nationalstolz bis zu den Konflikten dieses Jahrzehnts. Im Mittelpunkt steht die kritische Auseinandersetzung mit der heilen, harmonischen Welt. Die Welt wird schneller, moderner, neue Technik überall. Verlockungen, wohin man schaut, eine Wohlstandswelt, in die nun auch jene Gesellschaftsschichten eintauchen, die bis dahin kaum Chancen hatten, sich ein Stück vom Glück anzueignen. Doch das hat auch seine Nachteile. Frauen arbeiten im Akkord. Kinder müssen sich auf Betonspielplätzen austoben. Radfahren, Fußballspielen – verboten. Zu gefährlich, zu laut. Die Müllberge wachsen rasant, pflegebedürftige Menschen werden häufig in Altersheime „abgeschoben“. Auch das ist die neue, schöne, moderne Zeit.

Auto, Urlaub, Stereoanlage, Telefonanschluss, Fernseher – für jedermann. Das „Kastl“ bzw. der ORF prägen ein Jahrzehnt. Sportidole werden zu Nationalhelden, vereinen Herrn und Frau Österreicher auf der Sporttribüne, die Wohnzimmer heißt. Es wird mitgefiebert, mitgefeiert, mitgetrauert – mit Annemarie Pröll, Karl Schranz, Franz Klammer, Hans Krankl, Jochen Rindt, Niki Lauda. Stolz sind die meisten Österreicher/innen auf vieles. Die 42-Stunden-Woche, die Vollbeschäftigung, den starken Schilling, vier Wochen Mindesturlaub, Gratisschulbücher, den freien Universitätszugang. Auf den längsten Straßentunnel und auf die erste U-Bahn.

Und die Demokratie macht's möglich. Dagegen sein. Protestieren, demonstrieren, agitieren. Erstmals regt sich Widerstand gegen Kraftwerke, gegen Naturverschandelung, Bauprojekte. In Molln gehen die erbosten Bewohner/innen auf die Straße, sie wollen keinen Staudamm in ihrer Ortschaft, in Wien muckt die Jugend auf, besetzt alte Fabriken, fordert Autonomie, Jugendzentren, Freiheit. Selbst Kreisky unterschätzt Ende der 70er Jahre den Protest gegen Entscheidungsträger. Das Atomkraftwerk Zwentendorf wird zum Symbol. Am Ende des Jahrzehnts ist Kreisky am Höhepunkt seiner Macht. Kein Politiker der Zweiten Republik – weder davor noch danach – hat je so viel Zuspruch erfahren. Und dennoch neigt sich die Ära dem Ende zu. Die 80er werden politische Veränderungen bringen, deren Auswirkungen wir bis heute spüren.

Peter Liskas Dokumentation lebt von der Bilderflut des ORF-Archivs. Monatelang hat er Material gesichtet und ausgewählt. Mit akribischer Neugierde erweitern die ORF-Kameras den Blick für die gesellschaftliche Vielfalt, dokumentieren erstmals das bisher völlig unbeachtet gebliebene Leben in gesellschaftlichen Nischen und Randgruppen. Zu Wort kommen Elizabeth T. Spira, Lukas Resetarits, Franz Klammer, Annemarie Moser-Pröll, Hans Krankl, Josef Taus, Norbert Steger, Karl Blecha, Peter Rabl, Peter Michael Lingens u. v. a. Roland Düringer liest aus Volksschulheften, damit vermittelt Regisseur Peter Liska, was den Kindern der 70er Jahre an Werten und Idealen beigebracht wurde – mit der Realität und dem gesellschaftlichen Umbruch hatte das wenig zu tun. „Die Insel der Seligen“ – ein analytisches Panoptikum der 70er Jahre in Wort und Bild.

4. Teil: Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot – Die 80er Jahre

Der Film zeichnet den dramatischen Wandel, den die Zweite Republik in den 1980er Jahren durchlebte. Zahlreiche prominente Zeitzeugen analysieren die gesellschaftspolitischen Entwicklungen und geben Einblick in das Lebensgefühl der 80er Jahre.

„Die Skandale haben mich reich gemacht“, bekennt Manfred Deix im Interview mit Wolfgang Stickler. Die 80er Jahre, ein wunderbares Jahrzehnt für Karikaturisten. Oft übertrifft die Wirklichkeit die künstlerisch zugespitzte Reproduktion. „Super war das Wort der 80er, alles war super“, erinnert sich Robert Kratky, Ö3-Moderator und Muntermacher der Nation. Kurz war es tatsächlich „super“. Anfang der 80er Jahre sieht es nicht schlecht aus auf der „Insel der Seligen“. Wohlstand, Beschäftigungsrekorde, soziale Sicherheit. Zehn Jahre Kreisky, wer sonst? So lange war noch nie einer Kanzler. Österreich ist wieder wer in der Welt. Doch dann machen die Anschläge palästinensischer Terrorkommandos recht brutal deutlich, dass es vorbei ist mit Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Die Arbeitsmarktprognosen werden düster, die Budgetdefizite steigen. Österreich ist keine „Insel der Seligen“ mehr. Willkommen in der Realität und Normalität Europas. Die normative Kraft des Faktischen zieht ins Land.

1983, nach Kreiskys Rücktritt, wird ein Mann Bundeskanzler, der schon nicht Vizekanzler werden wollte: Fred Sinowatz. „Das hat er ausschließlich aus Loyalität zu Kreisky gemacht“, analysiert die Innenpolitik-Journalistin Anneliese Rohrer. Als Unterrichtsminister war er die Popularitätslokomotive der Kreisky-Regierungen. Nun wird er in den Chefsessel eines politischen Experiments gezwungen, das zwei Altvordere basteln, Bruno Kreisky und Friedrich Peter: Die sozial-liberale Koalition aus SPÖ und FPÖ ist von Krisen geprägt. Österreich wird zur Skandalrepublik: der Konflikt um die Hainburger Au und der umstrittene Polizeieinsatz, der Handschlag des FPÖ-Verteidigungsministers Friedhelm Frischenschlager mit Walter Reder oder die Waldheim-Affäre. Zu allem Übel gibt es auch noch „Reblaus-Alarm“. Durch den Pantscher-Skandal bricht 1985 der Weinexport völlig zusammen. „AKH“, „Noricum“ und „Lucona“ werden ebenfalls zu Synonymen für politische Skandale. 1986, nach dem Waldheim-Sieg, tritt Kanzler Sinowatz zurück und übergibt an seinen Wunschnachfolger Franz Vranitzky.

Die 80er Jahre sind ein Jahrzehnt der Wende, des Paradigmenwechsels, des Abschiednehmens von alten Dogmen und bisher wohlgeübter nationaler Selbstspiegelung. Das gilt auch für die Verstaatlichte Industrie und die jahrzehntelang praktizierte Subventionspolitik. Die Wirtschaftskonzepte der Nachkriegszeit oder die politischen Antworten der 70er Jahre, die Aufschwung, Wohlstand und Sicherheit gebracht hatten, taugen nicht mehr zur Lösung der Probleme der 80er Jahre. Den von europäischen Einflüssen weitgehend immunen „österreichischen Weg“ gibt es nicht mehr. Nicht nur die Wirtschaftspolitik muss zunehmend europäischer und globalisierter gedacht werden.

Immer stärker dringen die Medien in private Lebensbereiche vor. Die Phase der „Privatisierung von Politik“ beginnt. Politiker werden beim Sport, im trauten Heim, beim Skifahren oder Wandern abgelichtet. „Homestorys“ dienen der politischen Umwegrentabilität. Doch die kann sich rasch ins Gegenteil verkehren, denn das Medienzeitalter befördert auch den Aufdeckungsjournalismus, akribische Recherchen nach Beteiligten, Bestochenen und politischen Verantwortlichen von Skandalen. Die Affären der 80er Jahre führen zu einer Erosion der politischen Glaubwürdigkeit. Skandalpolitiker in der Skandalrepublik, davon sollte künftig ein Jungpolitiker profitieren: Jörg Haider, der in diesem Jahrzehnt die Republik von Kärnten aus „aufzurollen“ beginnt. Politische Missstände und wachsendes Bewusstsein für die Schattenseiten von Wachstum und Wohlstand fördern die Stärkung der Zivilgesellschaft und deren Öffentlichkeitsfaktor. Bürgerbewegungen werden zu politischen Parteien. Nach der Hainburgkrise kommen „Die Grünen“ ins Parlament.

„Aus der Idee Bruno Kreiskys, alle Lebensbereiche mit Demokratie zu durchfluten, wird in den 80er Jahren eine Durchflutung aller Gesellschaftsbereiche mit Konsum“, analysiert der ehemalige Verstaatlichten- und Finanzminister Ferdinand Lacina. Die Generation der Yuppies erobert die Börse und macht das noch unförmig große Mobiltelefon zum Symbol eines neuen Lebensstils. „Die 80er waren das Jahrzehnt der Neonfarben und der Schulterpolster – mehr Schein als Sein“, fasst Robert Kratky den Zeitgeist zusammen. Und die Kabarettistin Andrea Händler meint: „Eine recht hedonistische Ich-Gesellschaft.“

Willkommen in der Zukunft. In den 80er Jahren beginnt das digitale Zeitalter, die „Invasion der technischen Fremdkörper“. Die ersten Computer halten Einzug in den Büros, die ersten Videospiele in den Kinderzimmern. Nur wenige ahnten die beginnende Revolution der Beschleunigung von Kommunikation und Information. „Am Anfang stand noch das Spielerische im Vordergrund“, erinnert sich Rainhard Fendrich an seine ersten Begegnungen mit Samplern und digitaler Studiotechnik. Mit seinem Titel „I Am from Austria“ gelingt ihm Ende des Jahrzehnts ein Hit, der zur heimlichen Bundeshymne Österreichs werden sollte.

„Die 80er Jahre sind eines der spannendsten Jahrzehnte der Zweiten Republik“, meint Franz Vranitzky, ab 1984 Finanzminister und ab 1986 Bundeskanzler. „Es passierte Ungeheuerliches in einer Dramatik und Beschleunigung, wie ich sie vorher und nachher nicht erlebt habe“, so der Politologe Anton Pelinka, einer der besten Kenner und Analytiker dieses Jahrzehnts. Am Ende des Jahrzehnts steht eine neue globale Ordnung: Ostblock und Warschauer Pakt brechen zusammen.

5. Teil: Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 90er Jahre

Auf dem Weg nach Europa.
Dieses Jahrzehnt sollte die Österreicher zu Europäern machen, die EU-Volksabstimmung, Europa-Bewusstsein implementieren. Franz Vranitzky, der Regierungschef der großen Koalition, spielt eine Doppelrolle: Bundeskanzler und Ersatzbundespräsident für den international unter Quarantäne gestellten Kurt Waldheim. Die Ausländerpolitik beginnt zunehmend zu polarisieren. Briefbomben contra Lichtermeere. Gesellschaftliche Spaltungsprozesse werden spürbar. 1996 tritt Kardinal Groer wegen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs zurück. Der Jugoslawienkrieg dringt tief in die Österreich-Community der Serben und Kroaten. Die 90er Jahre werden zum Jahrzehnt der Spin-Doktoren und politischen Marketingstrategen. Das Zeitalter der Globalisierung beginnt, sie sollte künftig die EU als auch die nationalen Regierungen, vor allem in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, vor neue Herausforderungen stellen.
Eine Dokumentation von Robert Gokl

6. und letzter Teil: Menschen & Mächte: Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 2000er Jahre

Wendezeit.
Die 13jährige Phase der Großen Koalition wird am 4. Februar 2000 durch die "Wenderegierung" unter Wolfgang Schüssel abgelöst. Die EU verhängt Sanktionen. Ein Sunnyboy als Finanzminister versucht das "Nulldefizit", das schwarz-blaue Kabinett im Gesamten das Unpopuläre: Privatisierungen, eine Pensionsreform, die zu Demos führt, ebenso die Einführung von Studiengebühren und die Eurofighter-Anschaffung. 2007 kommt rot-schwarz unter Gusenbauer wieder. Es ist das Jahr der Aufarbeitung des BAWAG-Skandals. Umwelttechnologien beginnen zu boomen, 2008, im Todesjahr von Jörg Haider, gewinnt ein Österreicher den Oscar. Ab 2010 beginnen sich für schwarz-blaue Minister mitsamt Seilschaften immer häufiger Korruptionsstaatsanwälte und Richter zu interessieren. Was ans Licht kam, war die massive Beschädigung des Vertrauens in die Politik und die politische Kultur des Landes.

 

Über „Menschen & Mächte“-Serie „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“

Mit der sechsteiligen „Menschen & Mächte“-Serie „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“ zeigt der ORF ab Montag, dem 18. Mai, jeweils um 20.15 Uhr in ORF 2 eine von Andreas Novak konzipierte Zeitgeschichteserie über Österreichs Alltags-, Politik- und Gesellschaftsgeschichte zwischen 1950 und den 2000er Jahren.

 Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde in den 50er-Jahren: der legendäre Strohkoffer - Friedensreich Hundertwasser (re.). Bild: Sender / ORF / Erich Lessing
Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde in den 50er-Jahren: der legendäre Strohkoffer - Friedensreich Hundertwasser (re.). Bild: Sender / ORF / Erich Lessing